Der Morgen an dem Jesus kam
„Hey wach auf, die Suna is do“
Das ist der lustige Weckruf, des Hahnes – wir haben ihn schon kennengelernt – der den neuen Tag ankündigt.
Etwas später stellt Opa einen Stuhl auf den Tisch, darauf stellt er einen kleinen Spiegel, ein Schälchen mit Wasser, einen weißen Seifenstein und einen Pinsel. Er rasiert sich mit so einer Hingabe, dass die Kinder es kaum wagen zu atmen. An sich bewegen war erst gar nicht zu denken. Ganz still sitzen sie um den Tisch, die noch schweren, müden „Köpflein“ in die Hände gestürzt. Gebannt folgt Ihr Blick dem funkelnden Messer, welches ihr Großvater über Gesicht und Hals führt.
Erst vor ein paar Tagen hat er Ihnen die gruselige Geschichte eines Mannes erzählt, der sich bei der morgendlichen Rasur die Kehle durchgeschnitten hat.
„Das Blut ist so herausgespritzt, dass die ganze Stube besudelt wurde, dann ist der Mann auf den Boden gekracht und dann war er tot.“
„Echt Opa, aber das ist ja voll gefährlich“
„Oh ja, darum müsst ihr auch ganz ruhig und still sein, wenn ich mich rasiere“
„Und wir müssen bei dir bleiben, damit du nicht tot wirst“
„Geh, Vater erzähl den Kindern nicht so grausliche Geschichten“ tadelt ihn seine Frau mit einem versteckten Lächeln.
Im Ofen hat inzwischen das Feuer zu tanzen begonnen.
Der Kümmel hüpft vergnügt im heißen Wasser und wartet darauf, dass der am Vortag geschleuderte Rahm dazukommt.
Als Ausdruck der Dankbarkeit macht Omimami 3 Kreuzzeichen auf der Rückseite des Laib Brotes. Dann schnitzelt sie kleine Brotstückchen in die Schalen, darauf gießt sie die dampfende Rahmsuppe, verfeinert mit etwas Zimt und das Frühstück für die Rasselbande ist fertig.
Wenn man auf die Toilette muss, muss man vor die Haustür, über ein paar unebene Steinplatten den Hof hinunter, wieder hinein in den Stall. Da gibt es ein Holzplumpsklo und man überlegte sich zweimal, ob der Gang den auch unbedingt notwendig ist. Praktischerweise ist hinter der zugigen Bretterwand gleich der Misthaufen.
Ella hockt sich gerne zu den Schweinchen Resi und Desi. Die beiden unterhalten sich dann mit ihr und Ella erzählt von ihren Erlebnissen und Träumen aber auch von den täglichen Konflikten mit ihrer Mutter. Zwei lustige Runde Augenpaare folgen Ellas Geschichten, manchmal grunzen Resi und Desi zufrieden, empört oder fragend. In solchen Momenten ist Ella überzeugt – „Die Zwei verstehen mich wirklich“
Nach so einem morgendlichen Schwätzchen im Saustall, kann der neue Tag beginnen.
Jetzt schnell noch Katzenwäsche, um sich den letzten Rest der Träume mit dem eiskalten Wasser aus den Äuglein zu reiben und dann geht es hinaus in die Freiheit, wie sie schöner und größer nicht sein kann. Dorthin wo so viele kleine und große Abenteuer jeden neuen Tag auf sie warten.
Zuerst begrüßt Ella den Fliederstrauch beim Zwergengarten hinter dem Stall. „Guten morgen Lila meine Schöne hast Du gut geschlaft?“
Lila ist so groß und dicht, dass Sie sich einen schönen, freien Platz zwischen den Zweigen und Ästen einrichten kann. Im Frühling wird der Flieder zu einer riesigen blühenden Kugel mit einem so betörenden Duft, dass es Ella fast die Sinne raubt. Nach der Blüte macht Lila für Ella ein dichtes, grünes Blätterdach. Selbst Regen läßt die kleine Untermieterin eine ganze Weile trocken bleiben. Den größten Spaß haben die Beiden daran, wenn Ella von ihrer Mutter oder ihren Geschwistern gesucht wird. „Komm Kleine“ sagt Lila zu ihrer Menschenfreundin „kuschle dich in meine Arme, ich lasse dich verschwinden“.
Ella erzählt Lila oft von ihren Kummer mit der Mutter.
So gerne hätte Lila das kleine Kindlein in der Sprache der Menschen getröstet, aber das war dem großen schönen Fliederstrauch verwehrt.
Eines Tages, es war ein kalter stürmischer Wintertag, nahe dem Weihnachtsfest kommt Ella mit rotgeweinten Augen in die Schneehohle, die sie sich zwischen Lilas großen Ästen gegraben hat: „Lila, Lila die Mama wollte mich zu einer anderen Mama bringen. Wir sind zum großen Wald gegangen, aber wir haben den Weg nicht gefindet und jetzt ist die Mama noch böser als immer und sie sagt ich muss mit Papa zu der neuen Mama gehen“
Lila ist genauso traurig und verzweifelt wie Ella. So schlimm war es noch nie, doch was konnte sie in solchen Situationen mehr tun, als sie in ihre starken Äste zu nehmen und ihr zuzuhören.
Plötzlich hört Ella leise Schritte……
Vor ihrem Versteck steht ein Mann „Darf ich mich zu Euch gesellen?“ fragt er mit tiefer leiser Stimme. Ella macht Platz.
Wie heißt Du fragt Ella ohne Angst.
„Jesus“
„So ein schöner Name“ befindet die Kleine mit noch immer tränennassen und zugleich strahlenden Gesicht.
„Wenn Du möchtest, können wir Freunde sein. Immer wenn Du traurig oder alleine bist, kannst Du mich rufen und ich komme zu Dir.“
„Echt“ staunt Ella. „Dann musst du aber oft kommen“ Jesus lacht
„Ich komme, das verspreche ich Dir“
Ella springt auf.
„Komm mit, bei Lila ist es jetzt viel zu kalt, ich hab einen besseren Platz.“
Ella nimmt Jesus an die Hand. „Pfiati Lila, wir kommen bald wieder“ verabschiedet sie sich von ihrer Fliederfreundin.
Sie führt ihren neuen Freund in die Holzhütte über die klapprige alte Stiege hinauf ins Heu. Da richten sie sich gemütlich ein. Es ist ein Bild der Ruhe und des Friedens. Die Wintermorgensonne schlängelt und drängt sich durch die Lücken zwischen den Dachziegeln, der Heustaub tanzte aufgeregt in ihren Strahlen. Neben ihnen hebt Mirli neugierig Ihr hübsches graugeflecktes Katzengesicht und die Täubchen Lydia, Kora, Manu und Sepp gurren zufrieden. Jesus begrüßt Sie alle freundlich.
Ella stellt nichts in Frage, nicht sein Wissen und auch nicht seine Existenz. Sie hat nicht die geringste Angst. Sie spürt, dieser neue Gefährte, der aus dem Nichts aufgetaucht ist, das ist was Gutes, ja sogar was echt Wundergutes.
Später, als erwachsene Frau erzählt Ella einem nur sehr auserwählten Kreis von ihren Begegnung mit Jesus.
Ein Psychologe, den sie wegen ihrer schweren Migräne mit Aura irgendwann einmal aufsuchte, erklärte ihr: „Kinder erfinden gerne sogenannte imaginäre Freunde, die dann mit dem Älterwerden wieder verschwinden“. Ella lächelte in sich hinein, zwinkerte Jesus, der neben ihr saß unauffällig zu und dachte bei sich.
„Der weiß aber viel, dieser Herr Doktor, aber er scheint wenig von der göttlichen Kraft zu wissen, die in jedem von uns schlummert und die für die großen und kleinen Wunder in unserem Leben verantwortlich ist.“
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