Wenn ein Kindlein ein Kind bekommt Kapitel 2
Sommerliebelei 1959
……..Schüchtern lehnte Marie etwas abseits an der Wand und schaute den Jungen und Mädchen zu wie sie sich rythmisch und schwungvoll zum neuen Tanz dem Rock & Roll bewegten.
Ihr gefiel die Musik, aber sie spürte sie nicht. Vor ihrem geistigen Auge tauchte eine schreckliche Szene aus der Schule auf, in der sie ein übermächtiger Lehrer gezwungen hatte vor 40 Mitschülern vorzusingen. Das schallende, schadenfrohe Lachen ob Ihrer schiefen Töne die Sie mit hochroten glühenden Wangen ohnehin nur zaghaft herausbrachte, hörte sie noch heute. Ihr Magen krampfte sich zusammen, eine dicke Träne rollte über Ihre Wange. Nie mehr, das hatte sie sich geschworen, würde sie sich so demütigen lassen.
„Warum weinst Du?“ von ganz weit her drang die Frage in Ihr Bewusstsein. Mit verschleierten Blick sah sie den großen jungen Mann, der sich mit fragender Mine vor ihr aufgebaut hatte…..
„ Komm, tanz mit mir, Du bist doch die Kleine aus der Stadt“ lässig kickte er mit zwei Fingern die brennende Zigarette auf den Boden und trat sie mit seinen glänzend, schwarzen Lackschuhen aus. „Ich tanze nicht“ noch bevor Sie den kurzen Satz zu Ende sprechen konnte, hatte er sie am Handgelenk gepackt und zu der kleinen freien Fläche gezogen, die die jungen Leute als Tanzfläche nutzten. Nach seinen ersten gekonnten Boogieschritten hielt er inne, „Du kannst nicht tanzen?“ verzagt schüttelte Marie den Kopf. Er zog sie hinter sich her zur Musikbox, warf 5 Schilling ein, drückte in höllischer Geschwindigkeit ein paar Nummern und schon bald darauf kam die erste ruhige, einschmeichelnde Musik.
Der groß gewachsene schlanke Kerl mit dem pechschwarzen Haar, strahlend blauen Augen und einem umwerfend, unbekümmerten Lachen nahm Marie in die Arme und wiegte Sie wie ein Baby hin und her.
Dieses Lied sollte IHR Lied werden.
Le Reve, ein Lied welches Marie ein Leben lang begleitete – bis zu ihrem letzten Gang, an einem eiskalten Tag Ende November – 51 Jahre später.
Aber ich greife vor, lassen Sie uns zurückkehren zum Sommer 1959
Die Sommerferien vergingen wie im Flug. Bevor die Mädchen in die graue, harte Wirklichkeit der Stadt und der elterlichen Wohnung zurückkehren mussten, wurde Maries 15. Geburtstag gefeiert. An ihrer Seite Mandi oder Tschango wie ihn seine Freunde nannten, der Junge ihres ersten Tanzabends vor 3 Wochen.
Mandi, ein schneidiger Kerl aus dem Nachbardorf war fast 6 Jahre älter als Marie. Um seine Wirkung bei Mädchen wissend, hatte er ein sicheres, selbstbewusstes Auftreten.
Mit seinen zwei älteren Brüdern hatte auch er die bittere Armut und die ständige Angst der Mutter erlebt. Angst um die drei Jungen, Angst davor in dem kleinen Steinhäuschen die harten, kalten Winter nicht zu überleben, Angst vor den Soldaten der Besatzung und davor, dass der Mann und Vater von der sowjetischen Gefangenschaft nicht heimkehren würde. Als der Vater, Jahre nach Kriegsende dann da war, lag eine bittere Schwere über dem kleinen Steinhäuschen der Familie. Stundenlang saß er stumm vor seiner Suppe und starte ins Leere. Selten sprach er über das Erlebte. Sein Blick war voll von den schrecklichen Erinnerungen der Russlandjahre, sein Herz erfüllt von einer Liebe zu einer jungen Petersburgerin, die nicht sein durfte und nicht sein konnte.
Mit dem unermüdliche Fleiß der Mutter, der Hilfe der Nachbarschaft und mit der Arbeit, die die heranwachsen Jungen schnell aus ihren Kindertagen holten, kam langsam ein wenig Geld ins Haus.
Ein Schweinchen, eine Kuh, ein paar Hühner und Hasen mit denen man auf engsten Raum zusammenlebte und ein Krautland mit einem kleinen Erdäpfelacker, ernährte die Familie mehr schlecht als recht. Die zwei älteren Burschen heirateten und verließen das elterliche Häuschen. Mandi genoss fortan recht unbeschwerte Jahre. Als gelernter Dreher verdiente er recht gut. Er verstand es, das Leben von seiner Sonnenseite zu betrachten, egal wie widrig so manche Umstände sich zeigten.
So waren die Sommertage 1959 mit der jungen, unerfahrenen Marie für Mandi ein nettes Abenteuer.
Kein Zweifel, auch er hatte sich verliebt in dieses außerordentlich hübsche zurückhaltende Stadtkind, nur würde er das gegenüber seinen „Haberer“ (Kumpane, Freund, Zechbruder) niemals zugeben. Er hatte schließlich einen Ruf zu verlieren.
Mit strengen Blick hatte ihn die alte Hanni, zur Seite genommen.
„ Mandi, mach ja keinen Blödsinn, die Kleine ist erst 15 und Du bist ein Hallodrie, der nichts ernst nimmt. Mach Ihr ja keine Schwierigkeit, sie hat so schon kein Sein daheim.“
Mandi lachte, etwas zu laut, etwas zu nervös,
„Aber Hannimami, Du kennst mich ja“…..Ja leider kenne ich dich, dachte die alte Wirtin.
Wenn das nur gut geht……
Zum ersten Mal zählte sie die Tage bis zur Abholung der Mädchen.