Wenn ein Kindlein ein Kind bekommt Kapitel 1
In den ersten 3 Blogbeiträgen „Schreiben ist Pflaster für die Seele“ habe ich Ihnen die kleine Ella und Ihren Freund Jesus vorgestellt.
Damals im September, als ich begonnen habe diesen Blog zu schreiben, war Ella, die über 4 Jahrzehnte ein düsterer Alptraum beinahe jede Nacht besucht hat, einfach noch nicht bereit, uns ihre Geschichte zu erzählen. Schauen wir mal, ob sie schon so weit ist, schauen wir, was die Kleine den so Aufwühlendes erlebt hat.
Um zu verstehen, was später alles geschah sollte wohl zuerst die kurze aber doch sehr dramatische Geschichte der Mutter dieses kleinen Mädchens erzählt werden.
Am Ende der Kriegsjahre 1945 wurde Marie geboren. Marie war die älteste von drei Mädchen, die nacheinander in einer zerbombten, geteilten Stadt, in einer sehr schweren und traurigen Zeit das nicht sehr helle Licht dieser Welt erblickten. Die Erlebnisse der Kriegsjahre schickten einen verrohten, aggressiven, völlig unberechenbaren Vater nach Hause.
Der Hunger, die beengten Verhältnisse in der Einzimmer kleinen Stadtwohnung legten das ohnehin dünne Nervenkleid der Eltern durch beängstigende, ja oft lebensbedrohliche Ausbrüche für die 3 Kinder frei.
Von den Schlägen, Beschimpfungen und dem ständigen Hunger konnten sich die Mädchen ein wenig erholen, wenn Sie für 3 Wochen zur Sommerfrische aufs Land zu einer Tante, die Schwester ihrer Mutter gebracht wurden.
Tante Tini hatte eine Kuh, ein Schweinchen, Hund und Katz zum Kuscheln und Liebhaben und einen Garten mit Ribisel, Ogras (Stachelbeeren), mit Möhrchen und Rüben, die die Mädchen mit samt der Erde aßen. Die Brambori (Kartoffel), die im Dämpfer weich gekocht wurden, teilten Sie sich mit den Schweinchen Lilli und Billie. Ganz besonders Lilli beschwerte sich jedesmal lauthals, wenn sich die Mädchen die warmen Erdäpfel aus ihren Futtertrog fischten, aber auch sie schien zu spüren, wie ausgehungert sie waren.
Tante Tini hatte für alle die vorbeikamen eine offene Tür und ein großzügig, verständiges Herz. Kinder aus dem Dorf die Hunger hatten, Frauen und Mädchen, die ein offenes Ohr und einen guten Rat brauchten und Männer jeden Alters, die der guten Tini im Haus und am Feld halfen und dafür ein Flascherl Bier und eine Wurst in`d`Hand bekamen. Am oder im alten Hozhofen, der von in der Früh bis in die Nacht hinein warm war, bruzzelte immer irgend etwas. Aus all diesen Ingredienzen wurde aus dem kleinen Hof im Graben über die Jahre ein Treffpunkt – ein kleines Dorfgasthaus.
Auch wenn diese Nachkriegsjahre schwer, oft düster und traurig waren, sie zogen doch ins Land und aus der kleinen Marie wurde eine Schönheit von 14 Jahren.
Groß gewachsen, mit einem lieblichen, ebenmäßigen Gesicht, einem zurückhaltenden, ruhigen Wesen, bezauberte Sie besonders die Leute in der doch eher rauen, ländlichen Gegend, in der Sie wie jedes Jahr gerne erwartet wurde.
Marie hatte eine Lehre zur Schneiderin begonnen. Aus Stoffresten, Vorhangstoffen und Spenden der Nachbarsfamilien zauberte Sie für sich und ihre Schwestern traumhaft, schöne Sommerkleider mit Bettycoat und schwingenden Röcken. Die Mode der 50 er Jahre und ihr angeborener guter Geschmack machten aus ihrer Erscheinung eine echte Augenweide.
Die alte Tante kam aus dem Staunen gar nicht mehr heraus, als die Mädchen eintrafen.
Was war in diesem einem Jahr aus dem grauen Entlein, dem immer zu dürren Mädchen mit den traurigen Blick geworden?
In das Staunen mischte sich sogleich auch große Sorge.
Wie sollte sie in diesem Sommer, neben der vielen Arbeit am Hof und im Gasthaus, diesen schönen, jungen Schwan schützen? Tagtäglich kamen die Burschen und Männer aus den umliegenden Dörfern. An den Freitagen war Tanz bei Kerzenlicht, wo äußerst tatkräftig um die Mädchen geworben wurde.
Wie recht die weise, alte Dame behalten sollte.
Dieser Sommer sollte das Leben der jungen Marie für immer verändern……