An einem stürmischen Wintermorgen 1968
Der heulende Wind hatte in der Nacht den feinen Schneestaub durch die Ritzen der Fenster im oberen Stock des kleinen Häuschens getragen. Sahnehäubchen gleich türmten sich die Schneehäufchen vor den Fenstern. Es war so bitter kalt in der Schlafstube, dass die Aussenwände, lediglich aus Stein und Lehm errichtet und mit bloßen Kalk geweißt, mit Eiskristallen überzogen waren. Verschlafen rieb sich die Kleine Ella das Sandmänchen aus den Augen und erblickte mit Staunen, was Väterchen Frost für Sie gezaubert hatte.
Millionen kleine Sternchen glitzerten im ersten fahlen Morgenlicht „Omimami schau jetzt wohnen wir in einem Eispalast“
Jäh wurde das stille Staunen unterbrochen. Marie kam bleich, mit rot geränderten Augen ins Zimmer. Ohne sie eines Blickes zu würdigen, ohne einem guten Morgen griff sie über die Großmutter und holte Ella aus dem warmen Berg von Daunen in den kalten Wintermorgen. Die Mutter zog die Kleine im eisigen Griff wortlos hinter sich her in das angrenzende Schlafzimmer der Eltern.
Ein weißes Kleidchen, dicke warme Strumpfhosen, weiße Winterstiefelchen, ein Fellmäntelchen und eine weiße Fellhaube mit langen Bommeln dran zog Marie der Kleinen an. Begeistert sprang Ella vor der Psyche, so nannte man den dreiteiligen Spiegel mit einem Kästchen unten dran, auf und ab.
„Mama schau, jetzt bin ich eine Eisprinzessin.“
Die Mutter hörte das vergnügte Quicken der kleinen nicht. Mit verschleierten Blick zog auch sie sich an.
Als sie mit der kleinen das Haus bei der oberen Tür verlassen wollte stand der Großvater vor Ihnen.
„Was machst Du mit dem Kind?“
„Ich bring sie zu seiner Hure.“
„Mach es doch nicht noch schlimmer“, bat der alte Mann, den Marie durchaus schätzte.
Der Moarhansl war ein schweigsamer, belesener Mann, der gerne seiner Schwiegertocher die dicken Wälzer überließ, die Marie in den vielen Stunden des Alleinesein verschlang. In den Geschichten und Dramen der Weltliteratur, konnte Marie Ihr eigenes Leid wenigstens für kurze Zeit vergessen. In besonders offenen Momenten tauschten sich die Beiden sogar über die Bücher aus. An solch magischen Abenden verzog sich Ella ganz leise hinter den Vorhang am breiten Blumenfenster in der unteren Stube, um zu hören was die dicken Zauberbücher mit den oft wunderschönen Buchdeckel zu erzählen hatten. Wenn der Zauber dann vorüber war, steckte Sie Ihr Näschen in die oft schon vergilbten Seiten. Sie liebte den Duft der Geschichten und dann sah sie die wunderschöne, traurige Ana Karenina oder den stolzen Dr Schiwago vor sich.
„Wo gehst Du hin mit ihr?“
„Über den Saumberg in die Reinau.„
„Du kennst den Weg nicht, in der Nacht hat es stark geschneit, das ist zu gefährlich. „
„Es hilft nicht, ich muss!“
Marie ließ den Schwiegervater stehen. Ella und Ihre Mutter entschwanden nach nur wenigen Sekunden seinem Blick, so dicht war der Nebel und die Schneeflocken, die darin tanzten.
Endlos gingen sie den Berg hinan. Der Wind war so stark, dass er die kleine Ella immer wieder zu Boden warf. Anfangs fand sie das noch lustig.
„Mama schau der Wind spielt mit mir.“
Aber nach den vielen Malen des sich wieder hochrappeln wurde sie immer müder. Sie begann mit dem Wind zu schimpfen.
„Hör jetzt auf mich umzuschmeißen und sei lieb mit uns.“
Als würde der Wind Ella gehorchen, wurde es tatsächlich stiller und ruhiger. Auch war vor Ihnen eine schwarze Wand aufgetaucht. Nah genug erkannte Ella, dass es ein großer dunkler Wald war.
„Schau Mama das sind alles meine Freunde.“
Fragend und erschöpft sah die Mutter zu ihr hinunter. Dieses eigenartige Kind hatte sie noch nie verstanden……
„Die Bäume sind meine Freunde. Wenn ich mit Papa in den Wald gehe, reden wir mit ihnen. Sie erzählen uns Geschichten.“
Ella rannte zur ersten großen Fichte und umarmte sie mit ihren kleinen Ärmchen.
„Hallo du schöner großer Baum, dürfen meine Mama und ich bei Euch sein? Und bitte sag dem Wind, er soll draußen bleiben.„
„Komm schon, Du machst Dich schmutzig.“
Unwirsch riss die Mutter Ella vom Stamm weg.
„Mama, der Baum hat gesagt wir sollen umkehren, im Wald passen alle seine Freunde auf uns auf, aber am anderen Ende ist noch mehr Wind und noch mehr Schnee.“
Die Mutter wollte von den Hirngespinsten dieses sonderbaren Kindes nichts hören, fasste sie an der Hand und zog sie weiter.
Es war ruhig im Wald. Leise rieselte der Schnee von den mächtigen Bäumen. Weit oben in den Kronen tobte dumpf aber keinesfalls bedrohlich der Wind. Flauschig weicher Schnee knirschte unter ihren Füßen und die beiden konnten sich ein wenig erholen.
Als Sie am Ende des Waldweges in die freie Wiese kamen, tobte der Schneesturm so wild, dass sogar die Mutter Mühe hatte, sich auf den Beinen zu halten. Sie kämpften sich weiter. Mit gesenkten Kopf und tränennassem Gesicht zog Marie die kleine, immer müder werdende Ella hinter sich her. Plötzlich prallt die Mutter gegen etwas und viel zurück in das unendliche Weiß. Ella traf das etwas am Kopf. Ein rotweisroter Balken signalisierte das Ende des ausgebauten Weges, das später eine Verbindungsstraße werden sollte.
Schluchzend erkannte nun auch Marie die Sinnlosigkeit ihres Vorhabens.
„Wir gehen zurück.“
„Ja, Mama ja, komm gehen wir nach Heim.“ Jetzt zog Ella die Mutter, die verzagt und kraftlos dem Kind folgte.
Die Spuren im Schnee hatte der Wind längst vertragen, doch Ella führte die Mutter zielsicher zu dem schützenden Wald zurück.
Bei ihrem Freund dem Baum angekommen umarmte Ella, dieses Mal ohne Widerstand der Mutter, den knorrigen Stamm.
Plötzlich hockte die Mutter, ein paar Schritte entfernt von Ella, stöhnend mit schmerzverzerrten Gesicht, im Schnee.
Angstvoll beobachtete das Kind die Szene.
Als sich die Mutter nach einer gefühlten Ewigkeit mühsam aufrichtete, hatte sich das Weiß des Schnees unter ihr in tiefes Rot gefärbt.
Dieses Bild war die letzte Sequenz eines immer kehrenden Traumes, der Ella begleitete bis sie weit über 40 Jahre war.
Schweißgebadet schrak sie dann jedesmal hoch und schrie
„Schau Baum die Mama muss jetzt sterben, bitte, Du musst ihr helfen…….BITTE“